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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.09.2000
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 888/00
Rechtsgebiete: StVO, BKatVO, StVG


Vorschriften:

StVO § 3
BKatVO § 2
StVG § 25
Leitsatz:

Zur ordnungsgemäßen Begründung der Entscheidung, von einem Regelfahrverbot nicht gegen Erhöhung der Geldbuße abzusehen.


2 Ss OWi 888/00 OLG Hamm Senat 2

Beschluss

Bußgeldsache gegen M.S.,

wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 15. Juni 2000 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 12.09.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2, 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Unter Verwerfung der Rechtsbeschwerde im übrigen wird das Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 15. Juni 2000 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Herne-Wanne zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit "nach § 3 Abs. 3, 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG" verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 15. 12. 1999 um 01.04 Uhr mit seinem PKW, amtliches Kennzeichen: RE-Ja 167, in Herne die Dorstener Straße in Fahrtrichtung Gelsenkirchen mit einer Geschwindigkeit von 84 km/h, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit dort innerorts nur 50 km/h betrug. Die Dorstener Straße ist an der Messstelle vierspurig ausgebaut. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit einem Lasermessgerät "LR 90-235/PF". Das Amtsgericht ist unter Berücksichtigung eines Toleranzwertes von 3 km/h von einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h ausgegangen. Es hat gegen den zur Zeit arbeitslosen Betroffenen, der nebenbei auf 630,00 DM Basis als Taxifahrer tätig ist, und bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, die Regelgeldbuße nach der BußgeldkatalogVO von 200 DM festgesetzt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Bei der Begründung des verhängten Fahrverbots hat das Amtsgericht u.a. ausgeführt:

"Zwar hat er geltend gemacht, er sei zur Zeit arbeitslos und arbeite auf 630,00 DM Basis als Taxifahrer, um erhebliche persönliche Schulden abbauen zu können, so dass der Erhalt des Führerscheins für ihn existentielle Bedeutung habe. Diese aus einem einmonatigen Fahrverbot resultierenden finanziellen Nachteile sind von dem Betroffenen jedoch als Folge seiner ordnungswidrigen Handlungsweise hinzunehmen.

Eben auf Grund dieser Argumentation des Betroffenen geht das Gericht davon aus, dass auch eine fühlbare Erhöhung der Geldbuße bei diesem Betroffenen nicht den vom Gesetzgeber beabsichtigten Denkzetteleffekt haben würde, sondern dass es vielmehr der Verhängung eines Fahrverbotes nach Nr. 5. 3. 1. Bußgeldkatalogverordnung zur Erreichung dieses Zweckes bedarf."

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat - zumindest vorläufigen - Erfolg.

1. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen allerdings die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß den §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG. Es ist nicht zu beanstanden, dass das angefochtene Urteil sich hinsichtlich der Feststellungen zur Zuverlässigkeit der Geschwindigkeitsmessung darauf beschränkt mitzuteilen, dass die Messung mit dem Lasermessgerät "LR 90-235/P" vorgenommen worden sei, und der Tatrichter - ersichtlich zum Ausgleich von Messungenauigkeiten - ein Toleranzwert von 3 km/h der gemessenen Geschwindigkeit abgezogen hat. Dies ist grundsätzlich ausreichend (ständige Rechtsprechung aller Bußgeldsenate des OLG Hamm, vgl. u.a. OLG Hamm NStZ 1990, 546; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl. 1999, § 3 StVO Rn. 59 mit weiteren Nachweisen; vgl. zuletzt auch Senat in 2 Ss OWi 1196/99, DAR 2000, 129 = MDR 2000, 269).

Auch die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene habe fahrlässig die zulässige Geschwindigkeit überschritten, ist nicht zu beanstanden. Zwar hat der Betroffene geltend gemacht - wovon auch das Amtsgericht ausgegangen ist, - dass zur Vorfallszeit der Tachometer seines Pkws defekt gewesen sei. Das Amtsgericht hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass der Betroffene seit mehr als 10 Jahren im Besitz der Fahrerlaubnis ist und daher als erfahrener Kraftfahrer anhand der Motorgeräusche erkennen kann, mit welcher Geschwindigkeit er in etwa fährt.

Da somit insgesamt die vom Amtsgericht zum Schuldspruch getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht zu beanstanden waren, war die Rechtsbeschwerde insoweit gem. § 349 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 5 OWiG zu verwerfen.

2. Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt jedoch Rechtsfehler erkennen, die zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit führen.

Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft allerdings darauf hin, dass das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass ein Ausnahmefall, der ein Absehen von der Verhängung des nach der lfd. Nr. 5.3.5. der Tabelle 1 a "Geschwindigkeitsüberschreitungen" der BußgeldkatalogVO vorgesehenen Regelfahrverbots rechtfertigen würde (vgl. dazu Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 25 StVG Rn. 15 ff. m.w.N.; sowie insbesondere BGHSt 38, 231 = NZV 1992, 286), nicht vorliegt. Dazu reichen die Tatumstände und die sich aus der Person des Betroffenen ergebenden Umstände derzeit weder allein noch gemeinsam aus. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Umstände, die die Tat aus der Mehrzahl der sonstigen Fälle, die dem Regelfall unterliegen, mildernd herausheben könnten, nicht erkennbar sind. Der Senat hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass auch das zur Nachtzeit erfahrungsgemäß geringere Verkehrsaufkommen (allein) einen solchen Umstand nicht darstellt (siehe Senat in 2 Ss OWi 808/95, ZAP EN-Nr. 890/95 = VRS 90, 60 = NStZ-RR 1996, 51 = StVE § 3 StVO Nr. 140). Der Betroffene kann sich auch nicht darauf berufen, dass er bislang straßenverkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Die Regelahndung nach der BußgeldkatalogVO geht nämlich in § 1 Abs. 2 ebenfalls gerade davon aus, dass Voreintragungen nicht vorliegen.

Das Amtsgericht hat auch nicht die neuere Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. BGHSt 43, 214) übersehen, der sich der Senat angeschlossen hat (vgl. u.a. Senat in NZV 1999, 215 = VRS 96, 382 = zfs 1999, 311 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Senats). Die insoweit erforderlichen näheren tatrichterlichen Feststellungen zu den äußeren Umständen der Geschwindigkeitsbeschränkung hat das Amtsgericht vorliegend getroffen, da es festgestellt hat, dass die Dorstener Straße im Bereich der Messung vierspurig ausgebaut und hochhausähnlich bebaut ist. Zu Recht ist es deshalb von einer auch nach der Rechtsprechung des BGH (BGHSt, a.a.O.) subjektiv grob pflichtwidrigen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen. Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung sind vorliegend nicht ersichtlich.

Dahinstehen kann, ob die Ausführungen und die Feststellungen des Amtsgerichts zu der Frage, ob nicht in der Persönlichkeit des Betroffenen Umstände gegeben sind, die ausnahmsweise das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots rechtfertigen würden, einer eingehenden rechtlichen Überprüfung standhalten. Insoweit weist der Senat nur darauf, dass sich nach den bislang getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilen lässt, ob für den Betroffenen durch die Verhängung des Fahrverbots eine besondere Härte eintritt. Einerseits führt das Amtsgericht nämlich aus, dass der "Erhalt des Führerscheins für ihn existentielle Bedeutung habe", andererseits stellt es aber fest, dass "diese aus einem einmonatigen Fahrverbot resultierenden finanziellen Nachteile (sind) von dem Betroffenen jedoch als Folge seiner ordnungswidrigen Handlungsweise hinzunehmen sind". Das letztere ist aber nur zutreffend, wenn es sich tatsächlich nur um solche "finanziellen Nachteile" handelt, die alle Kraftfahrer infolge der Verhängung eines Fahrverbotes treffen. Führt das Fahrverbot hingegen zu einer Existenzgefährdung, muss der Kraftfahrer die Nachteile ggf. nicht hinnehmen, so dass deshalb in einem solchen Fall von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen sein kann (siehe dazu aus der ständigen Rechtsprechung Senat in 2 Ss OWi 1449/98, ZAP EN-Nr. 172/99 = MDR 1999, 419 = DAR 1999, 178 = VRS 96, 291 = NZV 1999, 301; für Taxifahrer insbesondere Senat in zfs 1995, 315 = NZV 1995, 366 = VRS 90, 152 = NStZ-RR 1996, 181; ZAP EN-Nr. 720/95 = NZV 1995, 498 = VRS 90, 213).

Die Frage kann indes dahinstehen. Der Rechtsfolgenausspruch der amtsgerichtlichen Entscheidung konnte nämlich schon aus anderen Gründen keinen Bestand haben. Das Amtsgericht hat sich bei der Begründung der Verhängung des Fahrverbots zwar auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob nicht allein deshalb von der Verhängung des Fahrverbots - bei gleichzeitiger Erhöhung der festgesetzten Geldbuße - abgesehen werden konnte, weil bei diesem Betroffenen der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch auf diese Weise erreicht werden kann (vgl. zu diesem Erfordernis zuletzt Senat in DAR 2000, 129 = MDR 2000, 269; siehe auch noch Beschluss des Senats vom 15. Mai 2000 in 2 Ss OWi 409/2000 - http://www.burhoff.de).

Die Ausführungen, mit denen das Amtsgericht das Absehen von der Verhängung des an sich verwirkten Fahrverbotes dann verneint hat, halten einer rechtlichen Überprüfung jedoch nicht stand. Rechtlicher Hintergrund der Prüfung, ob auch bei einem Regelfahrverbot ggf. von dessen Verhängung abgesehen werden kann, ist die Frage der Beachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots (vgl. u.a. BVerfG DAR 1996, 196; BGHSt 38, 125 = NZV 1992, 117; vgl. die weiteren Nachweise bei Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 25 StVG Rn. 15 b am Ende), das in § 2 Abs. 4 BußgeldkatalogVO seine Ausprägung gefunden hat. Danach ist die Verhängung eines Regelfahrverbotes ausnahmsweise dann nicht erforderlich, wenn der vom Gesetzgeber mit dem Fahrverbot verfolgte Warn- und Denkzetteleffekt auch mit einer erhöhten Geldbuße erreicht werden kann. Die erhöhte Geldbuße soll den Betroffenen wirtschaftlich stärker treffen als andere Betroffene und deshalb zur zukünftigen Einhaltung der Verkehrsregeln anhalten. Dieser Effekt kann aber vor allem auch bei wirtschaftlich nicht gut gestellten Betroffenen erreicht werden, was das Amtsgericht nach seiner Begründung der Entscheidung, vom Fahrverbot nicht absehen zu wollen, offenbar übersehen hat. Die amtsgerichtlichen Ausführungen lassen vielmehr besorgen, dass das Amtsgericht ersichtlich der Ansicht gewesen ist, dass wegen der wirtschaftlich bedrängten Verhältnisse des Betroffenen bei ihm eine Erhöhung der Geldbuße überhaupt nicht in Betracht komme. Diese Sichtweise ist aus Rechtsgründen zu beanstanden, denn sie führt letztlich dazu, dass bei wirtschaftlich schwächeren Betroffenen das Absehen von der Verhängung des an sich verwirkten Regelfahrverbotes gegen eine Erhöhung der Regelgeldbuße grundsätzlich ausscheiden würde. Damit wäre in diesen Fällen aber das Übermaßverbot verletzt.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Amtsgericht bei rechtlich zutreffender Sichtweise von der Verhängung des Fahrverbotes abgesehen hätte, war nach allem - wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße - der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben. Da es für die Frage des Absehens vom Fahrverbot unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße mitentscheidend auf den persönlichen Eindruck vom Betroffenen ankommen kann, hat der Senat von der ihm in § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Möglichkeit, selbst in der Sache zu entscheiden, keinen Gebrauch gemacht, sondern die Sache an das Amtsgericht, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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